„70 Jahre Grundgesetz und 100 Jahre Weimarer Verfassung“
Ein Grund zum Feiern? Zum Erinnern oder Nachdenken?
Grußwort anlässlich des Verfassungstages 2019
Am 06.02.1919 eröffnete Friedrich Ebert die Deutsche Nationalversammlung, die zuvor mit drei Viertel der Stimmen für Parteien, die eine parlamentarische Republik wollten, gewählt wurde und schloss seine Rede mit den Worten:
„So, wollen wir an die Arbeit gehen!“ Unser großes Ziel fast vor Augen, in Deutschland eine starke Demokratie zu verankern!“
Genau das war das Ziel der Weimarer Nationalversammlung und ihrer Verfassung in einem blutenden Land, das unter den Folgen des verlorenen Krieges, Tod, Hunger und Not litt. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen.
Richtig ist, dass wir lange nach 1945 vor allem das Scheitern der Weimarer Verfassung in den Mittelpunkt gerückt haben.
Dabei hatte die Weimarer Verfassung ihre Chance: Sie machte das Deutsche Reich zur Republik, das Volk zum Souverän, verbriefte die Freiheit des Einzelnen und entwarf in der Nachkriegsnot die Vision einer besseren, gerechteren Gesellschaft.
Dabei war sie fortschrittlich, etwa Art. 119: „Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“
Art. 151: „Die Ordnung der Wirtschaft muss den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen.“
Im Gegenteil: Vieles, was damals entstand, was heute im Grundgesetz fortlebt, wie Freiheit, Demokratie, Rechts- und Sozialstaatlichkeit!
1945 war Deutschland ein Trümmerhaufen, moralisch und materiell nach Diktatur und erneutem Krieg. In dieser dunklen Stunde sahen die Verfassungsmütter und -väter die Notwendigkeit, hatten aber auch den Mut und die Kraft ein Wertefundament zu formulieren, dass die Grundlage für die Entwicklung unseres Landes ist.
Diese Werteordnung findet ihre Grundlage und „Unumstößlichkeit“ in einer der stärksten Aussagen in Art. 1 Abs. 1, die ich kenne. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Nach 70 Jahren ist unser Grundgesetz noch modern. Es ist bewusst als offene Verfassung mit gesellschaftsverändernder Kraft verabschiedet worden. Wichtige unverzichtbare Grundpfeiler sind dabei das Rechtsstaats-, das Demokratie- und Sozialstaatsprinzip.
Die Grundrechte, die auch Dank der Rechtsprechung des BVerfG (denken Sie etwa an die Gleichberechtigung von Frauen und Männern, die Gleichstellung homosexueller Lebenspartner,) Meinungs- und Versammlungsfreiheit moderner und besser gemacht haben!
In der Tat: Wir können stolz auf unsere Verfassung sein!
Aber: „Keine so kluge Verfassung schützt vor dem Versagen der Demokratie vor ihrer Selbstzerstörung!“ (ehemaliger BVerfG-Richter Udo di Fabio).