Es gilt das gesprochene Wort.
Herrn Präsident,
meine Damen und Herren,
Karl Valentin hat einmal gesagt: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen!
Große Datenverarbeitungskonzerne hielten vor vierzig Jahren die von ihnen produzierten Geräte ausschließlich für den internen Gebrauch geeignet und verpassten das Aufkommen der ersten Personal Computer. Vor zwanzig Jahren nahm die Verbreitung des Internets dramatisch an Fahrt auf und vor zehn Jahren war die Fantasie der meisten Menschen noch nicht darauf eingestellt, über mobile Geräte ständig online zu sein.
Heute sind Internet, Computerisierung und Datentransfer nicht nur in der Gesellschaft angekommen, sondern haben diese bereits grundsätzlich verändert. Mit ihnen werden Produktionsbedingungen, Kommunikationsweisen und Wissensformen revolutioniert.
Klar ist: das Recht muss mit diesen Entwicklungen nicht nur Schritt halten sondern garantieren, dass der Bürger in der digitalen Welt sicher, mündig und frei handeln kann. Da stimme ich Ihnen zu!
Ich frage Sie allerdings: Macht jedes Ressort eine eigene Regierungserklärung? Müsste das nicht Chefsache sein?
Das digitale Zeitalter bietet viele Chancen, aber auch neue Risiken: Das gilt insbesondere für das sogenannte Cybercrime:
Die Cyberkriminellen reagieren professionell und flexibel auf neue Sicherheitsstandards und passen ihre Methoden schnell den geänderten Rahmenbedingungen an. Sie haben einen enormen technischen Vorsprung. Das Gefährdungspotential für jeden Internetnutzer ist hoch!
Angesichts der Möglichkeiten, über das Internet nahezu anonym zu agieren, wird auch die klassische schwere Kriminalität wie Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, Betrug ohnehin, mittlerweile weitgehend über das Internet organisiert und ihre Aktivitäten auf das Internet verlagern!
Internetkriminalität
Im Bereich der Internetkriminalität ist insgesamt weiterhin von steigenden Fallzahlen und in ihrer Komplexität steigenden Ermittlungsverfahren auszugehen. In Hessen beträgt der Anstieg 3,6 %, das BKA rechnet mit einem Zuwachs um 8 %!
Ausschlaggebend dürfte hierfür neben der weitgehenden Anonymität des Internets, vor allem ein streng wirtschaftliches und arbeitsteiliges Vorgehen der Täter (insbesondere im Bereich der organisierten Kriminalität) sein. Zu erwarten sind insbesondere zunehmende professionelle Angriffe auf Firmen, Behörden und andere staatliche Institutionen, wie z. B. den Deutschen Bundestag, der uns gezeigt hat, dass Deutschland in der Tat digital verwundbar ist und jede Infrastruktur, die mit dem Internet verbunden ist, Ziel von Cyberangriffen werden kann!
Von Cyberkriminalität ist mittlerweile fast jedes zweite Unternehmen betroffen!
Allein in den vergangenen zwei Jahren betrug der Gesamtschaden in Deutschland 54 (!) Milliarden !
Oft werden entsprechende Risiken falsch eingeschätzt!
Was ist zu tun?
Ein Beispiel: Die schnelle Verfügbarkeit aktueller Informationen über neue Phänomene und Erscheinungsformen der IT-Kriminalität, aber auch über technische Entwicklungen, aktuelle Sicherheitslücken in Software etc., ist für eine Strafverfolgung notwendig und kann z. B. durch eine gemeinsame bundesweite Kommunikationsplattform erreicht werden, die keine personenbezogenen Daten verwendet.
Sie sagen nur: Wir in Hessen sind im Bereich Internetkriminalität in der Justiz gut aufgestellt, etwa durch die Sonderdezernate für Internetkriminalität bei den Staatsanwaltschaften oder die ZIT, d. h. Hessische Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität. Auch Erfolge der ZIT dürfen nicht über das Grundproblem in der Hessischen Justiz hinwegtäuschen, dem fortlaufenden Personalabbau:
Bereits im Jahr 2003 hat die Justiz im Rahmen der sogenannten Operation Düsteren Zukunft 800 Stellen abgeben müssen. In Folge davon wurden weitere 400 Stellen abgebaut und nun folgen mit dem weiteren Abbauprogramm nochmals 177 Stellen!
Was nützen die besten Gesetze, die beste Technik, wenn das Personal zum Ermitteln, Anklagen und Verurteilen fehlt?
Dabei ist die Bekämpfung der Cyberkriminalität eine der größten Herausforderungen in der Kriminalitätsbekämpfung!
Botnetzkriminalität
Ein Thema sind sogenannte Botnetze. Als ein Botnetz bezeichnet man eine große Anzahl von mit dem Internet ständig oder zeitweise verbundener Computer, die von ihrem rechtmäßigen Nutzer unbemerkt mit Schadprogrammen infiziert sind und daher in ihrer Gesamtheit einer fremden Kontrolle unterliegen.
Rund 40 Prozent aller internetfähigen Computersysteme in Deutschland sind nach Schätzungen mit derartiger Schadsoftware verseucht!
Die Botnetze könnten für vielfältige Aktivitäten eingesetzt werden:
Denkbar sind Cyberkriminalität wie das Versenden von Spam Mails, Onlinebanking-Betrug oder die Verschleierung von Servern mit kriminellen Inhalten wie Kinderpornografie. Außerdem können mit Botnetzen sämtliche auf einem Rechner gespeicherten Daten ausgespäht oder kopiert werden. Der gesamte Internetverkehr könnte abgehört und manipuliert werden!
Nicht nur der Deutsche Bundestag, ebenso können die Wasser- und Stromversorgung, große Unternehmen oder andere kritische Infrastrukturen auf diese Weise angegriffen werden!
Aber:
Das deutsche Strafrecht ist zur Bekämpfung der Botnetzkriminalität grundsätzlich gut aufgestellt.
Zur besseren Bekämpfung der Botnetzkriminalität sollten folgende Ziele im Vordergrund stehen:
Verbesserung der technischen Verfahren, um Botnetze zu erkennen
Sensibilisierung der Bürger, Unternehmen und Behörden für Fragen der IT-Sicherheit!
Durch das IT-Sicherheitsgesetz wurde der Schutz der Bürger verbessert.
Mit den geltenden Strafgesetzen kann die Botnetzkriminalität wirksam bekämpft werden. Sämtliche Aktivitäten, die mit dem Aufbau und Betrieb eines Botnetzes in Verbindung stehen, unterfallen Straftatbeständen des Strafgesetzbuches (StGB) oder Straftatbeständen aus Nebengesetzen!
Beispiel: Das Programmieren einer entsprechenden Malware, die zu einem Botnetz führt, ist als Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten (§ 202c StGB) unter Strafe gestellt. Das Verbreiten von Botnetzen durch den Einsatz von Malware (bspw. Trojaner, Sniffer, Backdoorprogramme) stellt in der Regel ein Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) dar.
In vielen Fällen greift der Straftatbestand des Ausspähens von Daten nach § 202a StGB, sobald das Gerät mit dem Botnetz über Malware infiziert wird.
Durch das am 25. Juli 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (IT-SiG) wurde der Schutz der Bürgerinnen und Bürger weiter verbessert:
Zum einen sind Anbieter von Telemediendiensten (durch eine Ergänzung von § 13 TMG) nun verpflichtet, ihre Angebote gegen unerlaubte Zugriffe durch Dritte, Verletzungen des Schutzes personenbezogener Daten und Störungen zu sichern.
Zum anderen sind Telekommunikationsanbieter nach § 109a TKG nun verpflichtet, Nutzer über Störungen, die von den Systemen der Nutzer ausgehen, zu benachrichtigen.
Die nach der sog. Cybercrime Convention Cummitee (CCC) des Europarates geforderten Ermittlungsmaßnahmen sind in der deutschen Strafprozessordnung grundsätzlich vorgesehen:
Dabei ist nach Art der Ermittlungsmaßnahmen zu unterscheiden, die gesichert werden sollen.
Insbesondere können auch in Eilfällen
– auf Datenträgern physisch gespeicherte Daten aller Art (§§ 94 ff. StPO),
– Inhaltsdaten aus Telekommunikation (§§ 100a, 100c StPO),
– Verkehrsdaten (§ 100g StPO) und
– Bestandsdaten (§ 100j StPO)
erhoben werden.
Strafbarkeit der Datenhehlerei
Zum sogenannten Cybergrooming:
Im Bereich des sog. Cybergrooming und Cybermobbing ist erst im Januar diesen Jahres (!) durch das 49. StrafrechtsänderungsG u. a. das Einwirken auf ein Kind, um es zu sexuellen Handlungen zu bringen mittels Informations- und Kommunikationstechnologie erweitert und neugefasst worden.
Das umfasst auch die Herstellung kinderpornographischer Schriften und die Besitzverschaffung an solchen Schriften!
Zudem ist die Höchststrafe bei der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen erhöht worden!
Des Weiteren wissen Sie genau, dass darüber hinausgehende Überlegungen zum Cybergrooming in der Reformkommission Sexualstrafrecht z. Zt. bearbeitet werden.
Die Kommission wird ihre Ergebnisse im Herbst dieses Jahres vorlegen!
Die Bundesratsinitiative war entbehrlich, da im sog. Bundesgesetz zur Einführung einer Speicherfrist und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten Regelungen zur Datenhehlerei getroffen wurden!
Kinderpornographie
Sie haben auch das Thema Kinderpornographie in Ihrer Regierungserklärung angesprochen. Ich kann Ihnen sagen, dass in diesem Bereich Bundesjustizminister Heiko Maas mit seiner Gesetzinitiative im Jahr 2014 erreichen konnte, dass Kinder in Deutschland besser vor sexuellen Übergriffen geschützt werden. Es konnten Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Auch das Cybergrooming ist seitdem unter Strafe gestellt. Es ist also in diesem Bereich einiges bewegt worden.
Ich darf Sie auch auf Ihren eigenen Antrag an den Bundesrat zu diesem Thema verweisen. Hier heißt es unter Punkt 3 Stärkung der technischen und personellen Rahmenbedingungen Eine weitere Stärkung der Ermittlungsbehörden erscheint angesichts der stetig steigenden Anzahl und des Umfang der Verfahren insbesondere im Bereich der Kinderpornographie dringend angezeigt.
Ich darf Sie bitten Ihre eigenen Ausführungen auch tatsächlich umzusetzen, anstatt in der Justiz und auch bei Polizei immer weiter Stellen abzubauen!
Nach Angaben der GdP fehlen in Hessen 1000 Stellen, 3 Millionen Überstunden hat die hessische Polizei!
Machen Sie Ihre Hausaufgaben!
Fußfessel
Natürlich darf in Ihrer Regierungserklärung die elektronische Fußfessel nicht fehlen. Die Erweiterung der elektronischen Fußfessel wird von der Ihnen Frau Justizministerin für viele Bereiche ins Gespräch gebracht, so nun auch für Hooligans.
Die elektronische Fußfessel ist jedoch kein Allheilmittel, denn die sog. Kleine Fußfessel bedingt, dass der Fußfesselträger seinen Tagesablauf strukturieren kann.
Auch bei der sog. großen Fußfessel, bei der der Täter ein bestimmtes Umfeld nicht betreten darf, gibt es keinen absoluten Schutz, d.h. die elektronische Fußfessel muss in geeigneten Fällen eingesetzt werden, sie darf nicht zur PR-Nummer verkommen!
Schon im vergangenen Jahr wollte Sie das Einsatzfeld der Fußfessel für Hooligans überprüfen. Konkrete Vorschläge haben Sie bislang jedoch nicht vorgelegt, stattdessen kündigen Sie in den Medien nun wieder eine Überprüfung an. Es muss deutlich gesagt werden, dass für die derzeitige Situation bei der Europameisterschaft die Fußfessel nicht helfen würde, da es bislang keine gesetzliche Grundlage dafür gibt, Fußball-Hooligans elektronisch zu überwachen!
Eine Fußfessel suggeriert zum großen Teil falsche Sicherheit.
In Fußfessel sind alle, die für fußfesselgeeignet erklärt werden und auch ohne Fußfessel ungefährlich sind.
Eine Fußfessel kann den Mensch nicht ersetzen.
Elektronische Akte
Zur Digitalen Agenda gehört auch die Einführung der elektronischen Akte in der Justiz.
Die Einführung der elektronischen Akte gehört zu den größten Herausforderungen der Justiz der letzten Jahrzehnte.
Nach Bundesgesetz müssen bis spätestens 2022 alle Schriftsätze bei Gericht elektronisch eingereicht werden, sonst sind diese unwirksam.
Die elektronische Akte, d. h. die Ablösung der papiergebundenen Justizkommunikation entspricht voll und ganz der Digitalisierung unserer Gesellschaft in allen Lebensbereichen.
Die Einführung der elektronischen Akte birgt große Chancen, aber auch Risiken und sehr viele personelle und ökonomische Ressourcen.
Dabei sind der SPD besonders wichtig:
Die Umstellung auf die elektronische Akte gelingt nur erfolgreich, wenn dauerhaft die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt werden. (Das Ministerium rechnet selbst bis 2020 mit 37 Mio. zur Einführung des Projekts.) Zudem brauchen die Bediensteten ausreichend zeitlich Ressourcen, damit dies neben der Tagesarbeit in teils mühevollen Umstellungs- und Einführungsphasen gelingt. Auch brauchen wir zusätzliches Fachpersonal, wie z. B. IT-Experten um das Projekt erfolgreich zu gestalten.
Die Realität sieht leider anders aus:
Parallel zur Einführung der elektronischen Akte wird sukzessive in der Justiz durch diese Landesregierung Personal abgebaut!
Das ist kontraproduktiv und gefährdet sogar eine erfolgreiche Einführung der elektronischen Akte in der Justiz!
Jeder weiß, dass solche Systemumstellungen nur erfolgreich sein können, wenn die Nutzer bzw. Bediensteten bei diesem Prozess ausreichend mitgenommen werden.
Sehr spät hat die Landesregierung zumindest einen Projektbeirat installiert. Echte Mitbestimmung und Mitgestaltung sieht aber anders aus!
Hätten Sie das beherzigt, könnten Sie sogar Ihren eingeführten Akzeptanzmanager sparen!
Ein zentrales Thema will ich ansprechen, was bei Ihrer Regierungserklärung völlig fehlt:
Das Vertrauen und die Sicherheit in der digitalen Welt
Die Digitalisierung kann ihr volles Potenzial für Wirtschaft und Gesellschaft erst entfalten, wenn Sicherheit und Schutz im Netz in einem ausreichenden Maße hergestellt sind!
Die Vertraulichkeit von Nachrichten muss erhöht werden!
Dreh- und Angelpunkt einer digitalen Ordnungspolitik ist nach unserer Überzeugung der Datenschutz mit einem effektiven Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dabei geht es im Hinblick auf den Verbraucherschutz ganz zentral um die Datensouveränität der Bürgerinnen und Bürger!
Datensparsamkeit
Grundsätzlich gilt: Nur gespeicherte Daten können verwendet oder missbraucht werden. Mit dem Konzept der Datensparsamkeit wird dem Rechnung getragen: Was nicht gespeichert wurde, dass kann auch nicht ge- oder missbraucht werden.
Wer Daten speichern will, muss konkrete Anforderungen erfüllen: Die gespeicherten Daten müssen einer konkreten Anwendung zugeordnet werden können (Zweckbindung) und einem identifizierbaren Zweck dienen (Kontextbezug). Die Verwendung von Daten muss transparent erfolgen!
Bürgerinnen und Bürger müssen das Recht haben zu erfahren, welche Informationen staatlichen Organen über sie vorliegen. Ende-zu-Ende-Verschlüsselung muss zum Standard für elektronische Kommunikation werden!
Datensouveränität herstellen
Das Individuum hat heute in den seltensten Fällen reale Macht über den Umgang mit seinen Daten.
Das Wissen über die tatsächliche Verwendung von personenbezogenen Daten wie Metadaten ist viel zu wenig verbreitet. Wir fordern eine aktive Aufklärungsarbeit zur Schaffung eines Bewusstseins für den kritischen Umgang mit privaten Daten!
Die konkrete Erlaubnis über die Verwendung und Speicherung von Daten durch private oder staatliche Akteure muss in jedem Fall an eine widerrufliche Einverständniserklärung gebunden sein.
Es muss darüber hinaus der Grundsatz der Rückholbarkeit gelten.
Hasskriminalität im Internet
Auch der Hasskriminalität im Internet muss wirksam begegnet werden:
Extremistische Handlungen wie zum Beispiel Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind häufig das Ergebnis einer längerfristigen Radikalisierung, die in sozialen Netzwerken und den dort begangenen Äußerungsdelikten und Gewaltaufrufen.
Die wirksame Verfolgung von Hasskriminalität im Internet setzt eine Gesetzlage voraus, die es auch ermöglicht, auf grenzüberschreitend nach Deutschland hineinwirkende Hasspropaganda angemessen zu reagieren. Deshalb sollte die Anwendung der §§ 86, 86a StGB auf bestimmte Auslandssachverhalte erleichtert werden.
Wir sind dankbar, dass Bundesjustizminister Heiko Maas eine entsprechende Taskforce eingerichtet hat und mit Google und mit anderen gesellschaftlichen Gruppen entsprechende Vereinbarungen getroffen hat.
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
die Digitalisierung unserer Welt, der Gesellschaft, auch der Justiz bedarf unserer Gestaltung für den Bürger! Dazu bedarf es keiner Selbstbeweihräucherung seitens der Landesregierung, keiner Initiativen, die bereits umgesetzt sind, sondern die richtigen Antworten und Konzepte!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!