Gerichtsschließungen in Hessen

Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
wird der vorgelegte Gesetzentwurf der Landesregierung zur Änderung gerichtsorganisatorischer Regelungen, den wir heute in 1. Lesung beraten, umgesetzt, kommt es nach 2004 zu einem weiteren massiven Rückzug der Justiz aus der Fläche.
Im Koalitionsvertag von CDU und FDP verbürgert sich die Regierungskoalition noch für eine „bürgernahe Justiz“.
Nun sollen, nachdem 2004 bereits acht Amtsgerichte geschlossen und vier weitere zu Zweigstellen degradiert wurden, acht weitere Amtsgerichte bzw. Zweigstellen aufgelöst werden.
Zusätzlich geht es diesmal auch der „Arbeitsgerichtsbarkeit an den Kragen“. Fünf Arbeitsgerichte sollen nun geschlossen werden.

Als wesentliche Entscheidungsgrundlage für Ihre Schließungsentscheidungen nennen Sie „gebetsmühlenhaft“ die Empfehlungen des Hessischen Rechnungshofs zur Struktur der hessischen Amts- und Arbeitsgerichte.
Befremdlich ist nur, dass die Landesregierung nun die Empfehlungen des Rechnungshofs gar nicht umsetzt.
Dieser hat nämlich in seinem Bericht aus dem Jahr 2005 aus Gründen der Standortsicherheit empfohlen, die Arbeitsgerichte Bad Hersfeld und Limburg zu erhalten. Der Justizminister will allerdings die beiden Gerichte nun schließen, was für viele betroffene rechtssuchende Bürger lange Wege zu „ihrem Recht bedeutet“.
Von Bad Hersfeld bis Fulda sind es z.B. 50 km! Die fährt man nicht, um etwa entgangenen Lohn i. H. von 50 € einzuklagen.
Wir haben schon immer gesagt, dass die entsprechenden Gutachten des Rechnungshofs aus dem Jahre 2003 bis 2005 zu veraltet sind, um auf ihnen im Jahre 2011 eine valide Entscheidung stützen zu können.

Dies sieht wohl nun selbst der Rechnungshof, der aktuell die Frage der Schließung von Gerichten „unter die Lupe nimmt“. Diese Prüfung des Rechnungshofs müsste für das Justizministerium doch Anlass genug sein, zunächst zumindest die Prüfungsergebnisse des Rechnungshofs abzuwarten, bevor vorschnell weitere Gerichte geschlossen und damit Fakten geschaffen werden!

Sie, Herr Minister, begründen die geplanten Gerichtschließungen mit dem Haushaltsdefizit des Landes Hessen und der Schuldenbremse, die aus Ihrer Sicht leider nun für jede Sparmaßnahme „politisch herhalten muss.“
Fakt ist, dass die von Ihnen behaupteten Einsparungen durch die Gerichtsschließungen weder durch mehrere parlamentarische Initiativen, Nachfragen, auch der Verbände, bis zum heutigen Tage trotz der nvs nicht präzise dargelegt und belegt werden konnten!
Wie setzen sich die 600.000 € anvisierten Einsparungen bei der Arbeitsgerichtsbarkeit zusammen?
Sind die Mietkosten durch eine anderweitige Verwertbarkeit gegeben?
Sie stellen hier bislang nur vage Einsparerwartungen in den Raum, deren Grundlage bis heute nicht gesichert sind.
Das haben Ihnen nicht nur zahlreiche Initiativen vor Ort, z. B. in Marburg und Usingen, wiederholt vor Augen geführt, sondern auch sehr nachdrücklich die jüngste Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verwertung von Gerichtsgebäuden, die von der ersten Schließungswelle betroffen waren.
Seriöse und verantwortungsvolle Justizpolitik sieht anders aus, vor allem weil bis heute noch keine detaillierte Aufgabenanalyse durchgeführt worden ist.
Besonders ärgerlich ist auch, dass Sie nach Ihrer Regierungserklärung vom 22. Juni 2010, bei der Sie die Schließungspläne angekündigt haben, bereits Fakten schaffen wollten, Umzugskisten bei den einzelnen Gerichten quasi schon gepackt sind, obwohl das Gesetz heute erst in 1. Lesung beraten wird!

Zudem erfüllen Sie die von Ihnen selbst genannten Kriterien für die geplante Schließung der Amtsgerichte nicht. Ein markantes Beispiel ist das von Ihnen selbst gewählte Kriterium „Übernahmemöglichkeiten der Mitarbeiter bei anderen Gerichten ohne nennenswerte Mehrkosten“.
So sollen die Arbeitsgerichte Marburg und Wetzlar zukünftig in Gießen in einer Immobilie untergebracht werden. Hier soll die Miete von bisher 8,25 €/qm auf 7,77 €/qm reduziert werden. Dies soll auf Kosten der Mitarbeiter durch Umwandlung von kostenfreiem in kostenpflichtigen Parkraum erfolgen!
De facto sollen sich die monatlichen Gesamtmieteinnahmen um nur knapp 300 € verringern, unabhängig von der Frage, ob die Arbeitsgerichte zukünftig adäquat in der neuen Immobilie untergebracht werden!

Ja, meine Damen und Herren,
es ist richtig, dass auch die Justiz in Zeiten knapper Kassen, obwohl wir Steuerzuwächse erwarten, nicht „auf der Insel der Glückseligen ist“. Auch in der Justiz muss geschaut werden, wie trotz Sparsamkeit mit Haushaltsressourcen der Rechtsgewährungsanspruch aus Art. 19, Abs. 4 GG gewährleistet werden kann.
Der zunehmende Einzug von e-justice in der Justiz ist zwar sichtbar, wird aber auch in Zukunft etwa in Betreuungssachen den persönlichen Kontakt nicht ersetzen. In vielen Verfahren, etwa dem obligatorischen Gütetermin, müssen die Parteien vor Gericht erscheinen.
Zentral für einen Rechtsstaat ist vor allem eine bürgernahe Justiz auch in der Fläche!

Zudem sind Ihre vermeintlichen Einsparungen alternativlos.
Seit Jahren fordern wir Sie bereits auf, gerade in der Justiz bei der nvs/SAP R 3 einzusparen und es gerade in der Justiz auf ein mindestnotwendiges Maß zurückzufahren.
Hier könnten Gelder in zweistelliger Millionenhöhe eingespart werden!
Sie wissen auch, dass Sie gerade in der Justiz bei der nvs/SAP R 3 „zurückrudern“ müssen.
Dies würde im Übrigen auch sehr zur Mitarbeiterzufriedenheit in der Justiz beitragen, über bloße Willensbekundungen sind Sie allerdings noch nicht hinausgekommen.
„Ein Schelm, der Böses dabei denkt!“

Herr Justizminister,
Sie müsste es argwöhnisch machen, dass landauf landab Wirtschaftstreibende, Rechtsanwälte, die Industrie- und Handelskammern, die Rechtsanwaltskammer Kassel, die Wirtschaftsjunioren in Limburg (auch Ihre Wählerklientel) gegen Ihre Schließungspläne zu Recht „Sturm“ laufen.
Es wird Ihnen also nichts nützen, dies nun Mitte der Legislaturperiode gegen massive Widerstände durchzusetzen und zu hoffen, dass dies bis zur Landtagswahl 2013/2014 wieder vergessen ist.
Die Klatsche bei der Kommunalwahl für die hessische FDP war wohl nicht Denkzettel genug.
Herr Hahn, Sie selbst haben stets den Satz propagiert „es müsse intelligent gespart, statt dumm gekürzt werden“.
Ihren eigenen Ansprüchen werden Sie mit diesem Gesetz nicht gerecht!
Ziehen Sie es zurück!

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!